Ich bin Karla und bin in Amerika. Seit ungefähr einem Monat nun. In Colorado, an der Fountain Valley School im Dorm Gannett. Ich komme aus Budberg, einem kleinen Dorf in der Nähe der Stadt Werl. Ich wohne auf einem Bauernhof und reite sehr gerne.
Für mich stand schon immer fest: Ich werde mal ins Ausland gehen. Nicht wohin, nicht warum und nicht wie lang. Ich wollte einfach gerne mal weg. Doch dann wurde plötzlich alles konkret. Ich sollte all diese Fragen beantworten. Und ich begann zu merken, dass ich mein Zuhause, meine Familie und meine Freunde doch sehr gern habe. Meine Familie hat mir dabei den Freiraum gelassen, mich zu entscheiden, mich aber auch großartig unterstützt.
Die Frage mit welcher Organisation ich fahren wollte, nachdem ich mich endgültig entschieden hatte, mein bisheriges Leben für 10 Monate zu verlassen, fand ich äußerst schwierig. Jeder hatte andere Erfahrungen und wirklich vergleichen konnte ich sie nicht. Ich fühlte mich überfordert. Bis die Cousine meiner Mutter die Lösung hatte: ssb Nottebohm. Ihre Tochter war zu der Zeit glücklich auf einer Boarding School in Amerika. Die Idee, nicht in eine Familie, sondern auf ein Internat zu gehen, war völlig neu für mich, doch ich fand sie super! Familie hatte ich in Deutschland, doch das Zusammenleben mit ganz vielen Gleichaltrigen nicht! Von den Schulen, die mir ssb Nottebohm anbot, gefiel mir eine sofort sehr gut! Reiten, tolle Landschaft, Outdoor Education, eine kleine, wunderschöne Schule. Ich bewarb mich und war glücklich, als der Brief mit meiner Bestätigung ankam.
Der Schritt war also getan. Nun ging es um die Vorbereitung. Die Summer Reading List lag eines Tages im Briefkasten, der Termin zum Vorbereitungstreffen rückte näher und die Frage, was ich alles mitnehmen konnte, stellte sich. Eigentlich ist es gut, im Vorfeld viele englische Bücher zu lesen und Filme zu schauen. Ich muss gestehen, ich habe nichts davon wirklich ernsthaft getan. Anfangs noch mit einem schlechten Gewissen, doch dann habe ich beschlossen, einfach die letzte Zeit in Deutschland zu genießen und Amerika schon irgendwie zu schaffen.
Das Vorbereitungstreffen stand als nächstes auf dem Programm. Und das war toll! Die Leute waren super nett und es war klasse, dass alle in der gleichen Situation waren wie ich. Nach diesen paar Tagen hatte ich das Gefühl: Jetzt kann ich gehen! Das Team aus Alumnis und Mitarbeitern von ssb Nottebohm war bemüht, alles so zu gestalten, wie es in einer Boarding School letztendlich auch sein würde und das Zusammensein mit der Gruppe hat einfach sehr viel Spaß gemacht. Wir haben über die Kultur, das Leben an einer Boarding School, die schulischen Unterschiede bis hin zum Mathe-Unterricht alles besprochen. Mit vielen Leuten habe ich immer noch Kontakt und es ist toll, an unterschiedlichen Orten in Amerika zu sitzen und über seine bisherigen Erlebnisse zu reden.
Das Visum hatte ich auch und nach einer Abschiedsfeier zuhause ging das Packen los. Ich hatte zwei vollkommen überfüllte Koffer und trotzdem das Gefühl, eine Menge vergessen zu haben. Der Flug war noch einmal ein Zeitpunkt, an dem ich realisiert habe, jetzt bin ich weg. Neben mir saß eine andere Austauschschülerin, die für ein Jahr nach Texas in eine Familie geht. Die Zeit verging deshalb schnell. Nach einmal Umsteigen in NY und Houston war ich schließlich am Flughafen in Colorado Springs!
Nun bin ich hier
Der Anfang war nicht unbedingt einfach, aber es wird mit jedem Tag und jeder Woche besser. Meine Roommate ist toll, wir verstehen uns gut und ich werde über Thanksgiving zu ihr fahren. Auf diese 10 Tage freue ich mich sehr.
Ich denke noch nicht auf Englisch, aber mittlerweile wird es selbstverständlich, Englisch zu sprechen und es fällt mir sehr viel leichter als am Anfang. In den ersten Wochen hatte ich das Gefühl, so stumm wie noch nie zuvor gewesen zu sein. All das Umgangssprachliche, die lustigen Bemerkungen fielen unglaublich schwer. Doch auch hier sind nur Menschen und die verstehen Gott sei Dank vieles auch mit Gestik, Mimik oder falschem Englisch.
Die Schule ist sehr anders. Kleine Klassen, die Lehrer strengen sich an, um uns etwas beizubringen und erwarten im Gegenzug aber auch, dass wir uns Mühe geben. Die Fächer sind nicht unbedingt schwerer, ich habe aber auch keine APs gewählt. Nachdem ich also morgens aufstehe und es hoffentlich rechtzeitig zum Breakfast check-in geschafft habe, gehe ich von 8 bis 15 Uhr zum Unterricht und danach zum Sport, zum Dinner und danach gibt es die Study time. Study time heißt: Facebook ist gesperrt und jeder arbeitet.
Die Schulstunden sind hier 50 Minuten lang. Es gibt zwischen den Schulstunden eine 5 Minuten-Pause, um zu seinen Räumen zu kommen, und eine 10 Minuten-Pause nach den ersten beiden Stunden. Anschließend 45 Minuten Lunch und weitere 3 Schulstunden. Die Study time geht von 19 bis 23 Uhr mit einer halben Stunde Pause. Wer eher fertig ist, kann aber natürlich schlafen, lesen oder sich sonst wie beschäftigen. Diese 4 Stunden habe ich mehr oder weniger anfangs auch für meine Hausaufgaben gebraucht. Doch gerade im Texte lesen bin ich schneller geworden und die Zeit ist somit für mich jetzt entspannter. Diese Einbindung in einen festgelegten Tagesplan war und ist auch eine Umstellung, die mir mal gut gefällt und das Leben erleichtert, manchmal aber auch einschränkt.
Die Leute hier sind anders als in Deutschland und wahrscheinlich könnte man es oberflächlich nennen. Ich finde es jedoch sehr angenehm. Alle sind offen und sehr freundlich. Es ist eine viel positivere Stimmung als in Deutschland. Alle grüßen sich freudestrahlend und “I love you“ ist ein Satz, den ich hier mehr als sonst in meinem Leben gehört habe. Diese vermeintliche Oberflächlichkeit ist aber einfach eine andere Art miteinander umzugehen und erzeugt eine sehr positive Atmosphäre. Schwierig kann es nur werden, wenn man als direkte Deutsche nicht versteht, wenn ein Amerikaner neben einem im Auto mit offenem Fenster sitzt und fragt, ob man nicht friere? Das heißt im Klartext: Könntest du bitte das Fenster schließen? Doch auch daran gewöhnt man sich.
Die Schulstunden, von denen ich vorher erzählt habe, beinhalten immer einen Freiblock, ein Stufentreffen, All-school oder clubs. Also 5 Unterrichtsfächer jeden Tag. Als Sport habe ich mit Oudoor Education angefangen und bin sehr froh über diese Wahl! Montags machen wir Yoga, Dienstag und Donnerstags gehen wir off-Campus, das heißt wir fahren mit einem der sehr coolen Schulbusse entweder zu einem Berg, rennen diesen hoch, runter und springen – wenn vorhanden – in einen Fluss, um Liegestütze zu machen oder gehen klettern. Mittwochs sind Hard-Wednesdays. Das heißt wir joggen, machen muskelaufbauende Übungen, möglichst alles, was irgendwie anstrengend ist. Freitags findet meist die Weekend Trip-Besprechung statt, denn wir machen an eigentlich jedem Wochenende einen Ausflug. Das heißt Samstag, Sonntag Campen und Wandern in den Rocky Mountains. Das ist toll, anstrengend und anders als alles, was ich jemals in Deutschland gemacht habe. Ansonsten gibt es an den Wochenenden international bread beaking, apple pie making oder alle möglichen Aktionen und immer Busse, die zum Kino, in die Stadt oder zum Supermarkt fahren. Ich werde für diesen Winter einen Skipass mit einer Freundin kaufen und dann hoffentlich möglichst oft an den Wochenenden Skifahren können, darauf freue ich mich schon sehr! Meine Dormparents sind toll und dank ihnen gibt es den muffins Monday! Der Abend, auf den ich jede Woche hinfiebere. Ein anderer dorm hat waffel wednesday. Für dieses Wochenende haben ein paar Schüler einen Halloween Dance organisiert. Ich bin sehr gespannt!
Home, I guess
Gestern bin ich aus dem Winterferien zurückgekommen, die ich bei einer Freundin verbracht habe. Das Leben in ihrer Familie, amerikanische Weihnachten und ganz viel Skifahren waren schöne Erfahrungen. Jetzt bin ich wieder zurück in meiner High School und stelle fest, dass ich das Internat mittlerweile als mein Zuhause empfinde. Im ersten halben Jahr habe ich es hauptsächlich als Schule gesehen (und eine Schule als Zuhause zu bezeichnen, war für mich ausgeschlossen) doch durch das Leben im Dorm, der Spaß mit Freunden oder den täglichen Sport ist es mittlerweile mehr als Schule geworden.
Und ja, es ist Halbzeit. Englisch zu sprechen, zu lesen und zu schreiben macht mir keine Probleme mehr, die erste Runde Finals ist geschafft, es ist kalt und gerade noch haben wir Silvester ohne Feuerwerk gefeiert. Ich kann jetzt schon sagen, dass ich froh bin, für ein Auslandsjahr in die USA gegangen zu sein. Das Leben hier ist vertraut und die feste Struktur, die ich anfangs als sehr einengend empfunden habe, hat mir geholfen, mich zu organisieren, zu überlegen was ich will und gezielt darauf hinzuarbeiten.
Die Unterstützung die ich hier im schulischen Bereich bekomme, ist einmalig und außerordentlich umfangreich. Die Lehrer sind interessiert daran, was ich mache und wie ich es mache, sie nehmen sich Zeit und helfen, wenn es Probleme gibt. Das ständige Zusammensein mit so vielen anderen Menschen hat mir geholfen, Rücksicht zu nehmen und mich einzuschränken, aber ich habe auch gelernt, die Gesellschaft der anderen zu schätzen. Der Sport im ersten Semester war neu und spannend, aber ich war froh nach drei Monaten Outdoor Education etwas anderes auszuprobieren. Jetzt bin ich im Skiteam und es ist toll. Die Wochenend-Trips machen Spaß, die Leute sind toll und die Pisten fast niemals vereist.
Jetzt wünsche ich mir einfach, dass sich meine letzten 4 Monate noch ganz viel Zeit lassen, genieße meine Zeit hier und freue mich, dass meine Eltern mir dieses Jahr ermöglicht haben!
That's it
Ich sitze gerade am Flughafen in Houston und warte auf meinen Flug nach Frankfurt. Mein Jahr in Amerika ist vorbei und ja, ich kann sagen es war eine der besten Zeiten, die ich bisher erlebt habe. Der Abschied war tränenreich und traurig, aber ich gehe mit so vielen tollen Erinnerungen, Erfahrungen und Freundschaften nach Hause, dass ich nichts bereue. Der Anfang war hart und hat mich an meine Grenzen gebracht, aber ich habe gelernt nicht aufzugeben, an mich selbst zu glauben, ich selber zu sein - und selbstverständlich Englisch.
Dieses Jahr hat mir gezeigt welchen Einfluss ich auf meine Umwelt habe und haben kann. Wie ich diesen Einfluss bewusst lenke und Gutes bewirken kann. Von diesem Jahr sind die tollen Freundschaften, die hoffentlich für den Rest meines Lebens bestehen werden, am wichtigsten für mich. Auch wenn es schwer ist Menschen die so eine große Rolle in meinem Leben gespielt haben einfach zu verlassen, ist es toll Freunde in einem anderen Land, auf einem anderen Kontinent zu haben. Und dank Facebook, Skype und e-mail ist das Kontakt halten einfacher als es jemals war.
Ich bin zielstrebiger und motivierter, möchte meine Fähigkeiten ausbauen und nutzen. Das amerikanische Schulsystem, in dem Leistung anerkannt und gefördert wird anstatt einfach nur erwartet und hingenommen zu werden, hat in mir den Willen geweckt zu zeigen was ich kann. In Deutschland kann man so hart arbeiten wie man möchte, die einzige Freude ist das Zeugnis am Ende des Jahres. In meiner Schule jedoch gibt es Auszeichnungen und Würdigungen für diejenigen die alles geben, die an ihre Grenzen gehen, ganz egal in welchem Bereich. Nicht nur die, die in Mathe gut sind gelten als besonders, sondern auch diejenigen, die tolle Mannschaftskapitäne waren, mehr gegeben haben als jeder andere oder ein herausragendes Kunstprojekt beenden konnten. Jeder zählt mit dem was er hat und wird gefördert. Diese Einstellung werde ich außerordentlich vermissen.
Nicht nur schulisch war mein Jahr ganz hervorragend. Leben in einem Internat, mit Freunden im Zimmer nebenan, immer jemandem zum Reden, Unterhaltungen von Dusche zu Dusche, Klamottentauschen und Geburtstagsfeiern waren toll. In einer Freistunde in seinem eigenen Bett zu liegen, zum Klassenzimmer 2 Minuten zu brauchen oder tägliches Essen mit all seinen Freunden ist unvergleichlich. Neue Sportarten die ich gelernt habe und die tollen Zeiten die wir als Sportteam hatten; stundenlang im Bus zu sitzen, in Schneestürmen zu spielen, bis am Ende jeder vor Schlamm und Matsche strotzt, Konditionstraining bis niemand mehr laufen kann, gewinnen, und das alles zusammen. Ich bin unglaublich dankbar für dieses Jahr und kann nur annähernd beschreiben was meine Eltern und ssb Nottebohm mir ermöglicht haben! In ein paar Stunden werde ich in Deutschland landen, all meine Freunde und Familie wiedersehen und ich freue mich riesig. Mit einem lachenden und einem weinenden Auge.