Bonnies Aufenthalt an der Bishop's College School (2011/12)

Sherbrooke, Québec, Kanada

Porträt

Ich hatte mich schon ein ganzes Jahr früher mit Frau und Herrn Schiefer von SSB getroffen, bevor der Austausch überhaupt stattfinden sollte. Daher war der Gedanke an ein Auslandsjahr zwar früh da, aber nie wirklich konkret. Einzig, dass ich trotz 5 Jahren bilingual französisch lieber auf eine englischsprachige Schule wollte, war mir wichtig. Und Boarding School klang auch gut. Ansonsten habe ich mir nicht viel ausgemalt und alles ein bisschen auf den letzten Drücker gemacht. Ich war einfach zu sehr mit meinem aktuellen Leben in Deutschland beschäftigt.

Aber als die Sommerferien anfingen, wurde es dann plötzlich doch ernst. Ich habe alle meine Freunde getroffen und das letzte Mal gesehen. Außerdem habe ich immer wieder überlegt, was ich denn einpacken sollte. (Am Ende natürlich viel zu viel!) Zwei Wochen vorher wurde ich dann richtig nervös. Mein Leben in Deutschland kam mir plötzlich ganz toll vor. Wieso sollte ich jetzt weg? Was erwartet mich eigentlich? War es überhaupt die richtige Entscheidung? Aber mein Flugdatum rückte unaufhaltsam näher. An einem Dienstag früh war es so weit. Wir sind schon um 5 Uhr morgens zum Frankfurter Flughafen gefahren. Schon auf der zweistündigen Fahrt hatte ich Tränen in den Augen. Ich war aufgeregt und nervös, auch da ich das erste Mal alleine flog. Ich hatte gefühlt tausend verschiedene Dokumente dabei, alles für den Flug und mein Visum. Aber schon die Frau an der Passkontrolle sagte mir, dass ich super vorbereitet sei und wünschte mir viel Glück. An meinem Gate wusste ich dann nicht, ob mein Flug schon aufgerufen wurde oder nicht. Ich habe dann einfach gewartet. Gott sei Dank, da ich sonst in irgendein anderes Flugzeug gestiegen wäre, auf dem Weg nach Thailand oder so. Als ich dann endlich in das richtige Flugzeug stieg, saß tatsächlich der Dalai Lama links in der First Class und hat mich sogar angelächelt. Ich habe geglaubt, ich sehe nicht recht. Da konnte ja jetzt eigentlich nichts mehr schief gehen. Neben mir im Flugzeug saß dann ein älteres Ehepaar aus Deutschland, die ganz begeistert und beeindruckt davon waren, dass ich so jung ein Auslandsjahr machte.

In Kanada angekommen, musste ich erstmal zwei (!) Stunden auf mein Visum warten. Ich war müde, gelangweilt und dann wieder nervös, aber auch diese Beamtin sagte mir, dass ich alles super machen würde. Hat mich in dem Moment schon beruhigt. Dann konnte ich endlich mein Gepäck holen und nach draußen gehen. Dort warteten dann schon ein Fahrer, der mich in die Schule bringen sollte und sogar ein anderer Schüler. Die beiden waren total nett, aber ich war so überwältigt und müde, dass ich auf der ganzen Fahrt gerade mal drei Wörter sagte. Obwohl ab jetzt Englisch zu sprechen ungewohnt war, war es kein wirkliches Hindernis.

Als ich in der Schule angekommen war, war es schon Abend. Die Hausmutter führte mich noch durch das Haus und stellte mir ein paar der Mädchen vor. Dabei war sogar ein Mädchen aus Deutschland. Danach habe ich dann meine Eltern angerufen. Ich stand in meinem kleinen Zimmer, meine riesigen Koffer neben mir und plötzlich konnte ich mir partout nicht vorstellen, dass dies mein Zuhause für die nächsten 10 Monate sein würde. Meine Eltern reagierten daraufhin schon etwas aufgeregt. Nach dem Motto: Was haben wir dem Kind da nur angetan? Aber nach weiteren 5 Minuten habe ich dann noch mal zurückgerufen und gesagt, dass es nur die Müdigkeit sei und alles okay mit mir wäre. Ich würde erstmal schlafen und dann gucken, wie es dort so ist. Danach habe ich noch ca. eine Woche jeden Abend kurz angerufen, aber eigentlich nur zur Berichterstattung und weil ich noch keinen Computer zum mailen hatte. Tagsüber hatte ich einfach zu viel zu tun, um überhaupt Heimweh zu haben und abends war ich zu müde.

Cadet Corps

In der ersten Woche haben wir in der Schule außerdem ziemlich viel gemeinsam gemacht. Z. B. der Mountain Day, die ganze Schule klettert zusammen auf einen Berg. Puuuuh. Zusammenschweißen der Schüler, oder so. Außerdem hatten wir am Wochenende ein sogenanntes Cadet Camp. Meine Schule ist Teil eines Cadet Corps, weswegen wir jeden Donnerstag marschieren mussten und im März sogar eine richtige Cadet Inspektion hatten. Richtig so mit Kommandos, Marschieren, Exerzieren, Flaggen, Pferden, Handschuhen, Barrets und Band. In diesem Cadet Camp haben wir ganz verschiedene Aktivitäten gemacht, wie z. B. Schatzsuche in Clans aufgeteilt. Das Ziel war dabei immer, Leadership und Teamwork zu erlernen.

Und dann fing der Schulalltag richtig an. Morgens kam die ganze Schule in der „Chapel“ zusammen, sozusagen die Startveranstaltung. Natürlich alle in Uniform (außer mir, da ich meine noch nicht bekommen hatte). Danach begann der Unterricht. Dass plötzlich alles auf Englisch war, war nicht so komisch, wie ich es mir vorgestellt hatte. Es wirkte viel natürlicher, als ich gedacht hatte. Probleme hatte ich in den ersten Wochen nur in Mathe und in den Naturwissenschaften, wegen des noch unbekannten Vokabulars. Aber auch das ging nach einer Weile. Die Themen in Mathe zu verstehen war auch kein Problem, da die Formeln und Zahlen ja die Gleichen blieben. In Naturwissenschaften lernte ich dann die Wörter, die mir in Englisch fehlten, zum Beispiel Wechselstrom (Wer weiß so was schon?!). Einzig Drama war ein Fach, das ganz neu für mich war. Es hat total Spaß gemacht, auch wenn es einige Überwindung brauchte, mich vor die Klasse zu stellen und zu improvisieren, und das auf Englisch. In Geschichte lernte ich ausschließlich kanadische Geschichte. Dafür, dass sie irgendwo Ende 16. Jahrhundert erst richtig anfängt, wusste mein Lehrer echt viel darüber zu erzählen. Natürlich finden die Kanadier auch die deutsche Geschichte interessant. Da gibt es ja auch deutlich mehr zu erzählen. Aber außer der Weltkriege und Hitler wussten sie nicht wirklich was über Deutschland. Nur, dass wir tolle Autos haben und (wichtig) dass wir keine Geschwindigkeitsbegrenzungen auf der Autobahn haben. Das können sie sich überhaupt nicht vorstellen, schließlich tuckern sie ja nur mit 70 km/h über ihre Highways.

Das Leben mit einem Roommate war anfangs gewöhnungsbedürftig, aber nicht schwer. Allerdings hatte ich auch eine Chinesin erwischt, die nicht viel sagte. So gut wie nichts. Ob das daran lag, dass sie noch nicht gut Englisch konnte oder einfach nur schüchtern war, habe ich bis heute nicht herausgefunden. Das Einzige, was mir ein bisschen mehr Probleme bereitet hat, war zu sechst nur zwei Duschen zu haben. Wobei eine meist nur kaltes Wasser hatte. Klar, dass alle sechs Mädchen immer zur gleichen Zeit unbedingt duschen wollten. Da musste man halt richtig schnell sein, oder einfach kalt duschen.

Schülergruppe im Schnee

Im ersten Wintertrimester habe ich Skifahren als Sport gewählt. Wir sind jeden Mittwochnachmittag und samstags ganztägig zu einem Skigebiet in der Nähe gefahren. Das hat viel Spaß gemacht, besonders den Mexikanern, die keinen Schnee kannten. Die anderen Tage waren wir nach der Schule meist im Kraftraum oder sind Joggen gegangen. Natürlich, damit wir „kräftig und gelenkiger“ werden. Wieso ich dann deswegen bei ca. 5 Grad Celsius durch den Park joggen sollte, verstehe ich immer noch nicht, aber natürlich habe ich das dann gemacht, zugegeben nicht ganz ohne Murren...

In den Osterferien (Spring Break) bin ich dann kurz entschlossen nach Deutschland zurück geflogen. SSB hatte mir zwar immer geraten, dort zu bleiben, damit es mein eigenes abgeschlossenes Jahr sein würde, aber zu der Zeit liebäugelte ich schon mit der Idee, vielleicht in Kanada meinen Abschluss zu machen, daher dachte ich, es wäre eine gute Idee zurück zu kommen, um vergleichen zu können. Zu meiner Beruhigung hatte sich in Deutschland nichts verändert. Freunde, Familie, alle sind die Gleichen geblieben und mein Verhältnis zu ihnen auch. Zwar war es schwierig, mit meinen Freunden über mein Auslandsjahr zu reden, da sie es einfach nicht nachvollziehen konnten, aber sonst hatte ich keine Probleme mich wieder einzufinden.

Schulgemeinschaft

Nach dem Spring Break musste ich mich dann wirklich entscheiden, ob ich wieder zurück nach BCS kommen wollte oder zurück nach Deutschland gehe. Ich vermisste zwar meine Freunde und meine Familie in Deutschland und auch die Möglichkeit meinen Alltag flexibler und eigenständiger zu gestalten als in BCS, aber der tägliche Unterricht und das Leben in einer Gemeinschaft macht in BCS einfach mehr Spaß. Ich habe das Gefühl, als ob ich in Kanada mehr erreichen könnte und engagierter wäre. Deshalb habe ich dann, nach mehreren Gesprächen mit meinen Eltern und Frau Schiefer, die große Entscheidung gefällt: Ja ich bleibe in Canada. Ein Entschluss, der auch für meine Eltern wohl nicht leicht war. Aber ich habe ein gutes Gefühl.